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Turkmenistan – skurriles Land und Disneyland als Hauptstadt

Turkmenistan war von Anfang an so das "bad country" bei unserer Reiseplanung. Diese ehemalige Sowjetrepublik wurde nach dem Zerfall der Sowjetunion selbstständig. Und wurde gleich von dem damaligen ZK-Mitglied und Präsident der Sowjetrepublik Turkmenistan - Nijasow - quasi als Präsidenten-Diktatur übernommen. Seine Befugnisse wurden immer mehr erweitert, irgendwann wurde er Präsident auf Lebenszeit und der Personenkult nahm immer abstrusere Formen an. Schon 1992 "errang" er bei der Wahl 99,5% aller Stimmen, trug bald den Beinamen "Beyik Turkmenbashi" (Großer Vater aller Turkmenen). Straßen, Plätze, Schulen, sogar eine Stadt wurden nach ihm benannt, ebenso der Monat Januar. Der April wurde nach seiner Mutter benannt. Übrigens eine gute Idee, ich bin dafür, dass in Deutschland der November in "Waltraud" (nach der Mutter des Schreibers dieser Zeilen) umbenannt wird!

Der Monat September wurde nach seinem Buch "Ruhnama" benannt, welches seine gesammelten Weisheiten enthält. Dieses Buch - "Das goldene Buch der Turkmenen" - hat in der Hauptstadt Ashgabat ("Disneyland", siehe unten) ein eigenes Denkmal. Dieses Buch ist Pflichtlektüre in allen Schulen und Universitäten. Kenntnisse über das Buch werden bei allem möglichen verlangt, sogar bei der Führerscheinprüfung wird - hoffentlich neben Verkehrsregelungen - Wissen über das Buch abgefragt. Zeitungen und Fernsehen - besonders "unabhängig" in diesem Land - vergleichen das Buch mit dem Koran und sehen in seinem Autor einen Boten Gottes. Im Jahr 2005 schließlich setzte eine russische Trägerrakete den ersten turkmenischen Satellitten im All aus und seitdem kreist "Ruhnama" um die Erde...

Achso, als der große Turkmenbashi schließlich im Jahr 2006 starb, wurde sein Präsidentenamt quasi weitervererbt: an seinen Leib-Zahnarzt.

Disneyland in der Wüste: Ashgabat, die weiße Stadt. Der allgegenwärtige Marmor stammt aus Italien und Spanien.
Disneyland in der Wüste: Ashgabat, die weiße Stadt. Der allgegenwärtige Marmor stammt aus Italien und Spanien.




Für uns waren natürlich eher die logistischen Probleme interessant: schwierig zu bekommendes Visum, Behördenwillkür mit drastischen Strafen, besondere Regelungen. So ist es z. B. verboten, mit einem schmutzigen Fahrzeug zu fahren und daher empfohlen vor jedem Polizei-Checkpoint (und davon gibt es viele!) das Auto zu waschen. In einem Wüstenstaat! Präsidentenbeleidigung, auch nur eine abwertendes Verhalten gegenüber seinem Bild, wird mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet. Falsches zu Fotografieren gilt als Spionage und ist mit 25 Jahren Lagerhaft bedroht.

Visum bekommen wir für maximal 5 Tage. Für Visum, Grenzgebühr, Straßenbenutzungsgebühr, Desinfektion des Fahrzeuges (was natürlich nicht gemacht wird), Dieselsteuer, Papiergebühr und Bankgebühr zahlen wir rund 300 US-$. Die Fahrstrecke wird genau festgelegt, jedes Verlassen der Route kostet 1.000 US-$ "Straff", teilt uns der freundliche, aber bestimmte, Grenzbeamte mit.

Ein ganz sonderbares Land also. Warum reisen wir dadurch? Nun, weil es nun mal auf dem Weg vom Iran nach Usbekistan liegt. Die Alternative wäre Afghanistan gewesen, was uns auch nicht sonders lukrativ erschien...




Die beiden Präsidenten haben in den letzten 25 Jahren aus Ashgabat eine Art Disneyland gemacht. Schon bei der Anfahrt von der iranisch-turkmenischen Grenze, die rund 1600m hoch liegt, strahlt einen das Weiß der Prunkbauten der Stadt an, die auf rund 250m Höhe direkt am Rande der Wüste liegt. Die Fahrt und ein paar Schritte durch die Stadt zeigen den absoluten Größenwahn, der hier betrieben wird.

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Auch die Straßenlaternen sind aufwendig gestaltet. Auch davon gibt es tausende.
Auch die Straßenlaternen sind aufwendig gestaltet. Auch davon gibt es tausende.



Das Denkmal für das goldene Buch der Turkmenen "Ruhnama"
Das Denkmal für das goldene Buch der Turkmenen "Ruhnama"



Und vom großen Meister gibt es auch genügend Denkmäler. Hier eine zwölf Meter hohe Statue mit entsprechend gestaltetem Umfeld.
Und vom großen Meister gibt es auch genügend Denkmäler. Hier eine zwölf Meter hohe Statue mit entsprechend gestaltetem Umfeld.



Auch auf Schnapsflaschen findet man ihn. Vielleicht hatte er nur zuviel davon konsumiert und manche Entscheidung im Delirium getroffen?!
Auch auf Schnapsflaschen findet man ihn. Vielleicht hatte er nur zuviel davon konsumiert und manche Entscheidung im Delirium getroffen?!



Besonders abstruß wirken die tausende(!) von Brunnen und Wasserfontänen. Turkmenistan ist ein Wüstenstaat und es herrscht absolute Wasserarmut. Über einen mehr als tausend Kilometer langen Kanal (den längesten von Menschenhand erbauten Kanal) wird Wasser aus dem nördlichen Grenzfluß Amu Darja quer durch die Wüste geleitet. Die Hälfte davon geht durch Verdunstungen und Undichtigkeiten verloren. Der Fluß mündete einst in den Aralsee. Heute versickert er hunderte Kilometer vorher. Der Aralsee - einst der viertgrößte See der Welt und 120x so groß wie der Bodensee - hat dadurch etwa 3/4 seiner Wassermenge verloren. Ehemalige Hafenstädte liegen heute hundert Kilometer vom verbliebenen Wasser entfernt. Das Klima in der Region hat sich drastisch verändert. Und in Ashgabat fließt das Wasser in Strömen, als wäre absoluter Überschuß da. Für die Bewohner ist es sogar quasi kostenlos. Für Strom, Gas und Wasser zahlt ein Bewohner weniger als 20 US-$ im Jahr, also den Gegenwert von zwei Kisten billigem Bier - auch hier. Absurd.


Wasser...
Wasser...



... und Wasser ...
... und Wasser ...



... und Wasser. Noch nie haben wir so viele Springbrunnen gesehen, wie in Ashgabat.
... und Wasser. Noch nie haben wir so viele Springbrunnen gesehen, wie in Ashgabat.



Einer der Kanäle, die das Wasser durch die Wüste zur Stadt leiten.
Einer der Kanäle, die das Wasser durch die Wüste zur Stadt leiten.




Fotografieren ist fast überall verboten und die Polizeidichte ist sehr hoch. Alle paar Meter steht ein Polizist. Die meisten Fotos sind verdeckt entstanden. Als wir in die Nähe des Präsidentenpalastes kommen, pfeift es von allen Seiten und man schickt uns mit wütenden Gesten zurück.


Der geheime Präsidentenpalast aus der Ferne. Wütendes Gepfeife der Polizisten beim Näherkommen...
Der geheime Präsidentenpalast aus der Ferne. Wütendes Gepfeife der Polizisten beim Näherkommen...



Gefühlt sind etwa 40% der Bevölkerung Polizisten. Weitere 40% sind mit der Pflege der öffentlichen Parks und Plätze betraut, die außer dem Pflegepersonal absolut leer sind. Welch Unterschied zu den viel genutzten Parkanlagen im Iran. Die Leute kratzen von Hand die Fugen zwischen den Bodenplatten aus! Geländer an der Straße werden mit Lappen gewienert! Es sieht überall aus, wie aus der Hutschachtel. Nur halt keine Menschen...


Reinigung der Fugen zwischen den Bodenplatten.
Reinigung der Fugen zwischen den Bodenplatten.



Geländer werden von Hand geputzt.
Geländer werden von Hand geputzt.



Sogar auf den Märkten ist fotografieren verboten und es gibt fast genauso viele Aufseher, wie Markthändler. Wir bleiben nicht lange und suchen uns einen Platz zum Übernachten, besorgt darüber, was wohl die Polizei dazu meint. Schließlich stellen wir uns außerhalb auf einen Parkplatz bei einem neuen "Basar". Man lässt uns da stehen, es gibt keine Probleme.




Und so sehen die Hauptverbindungsstraßen außerhalb der Hauptstadt aus. Dies ist die einzige Verbindung nach Norden. Dies ist keine besonders schlechte Stelle, so geht das hunderte von Kilometern. Oft können wir weniger als 20km/h fahren oder fahren neben der Straße (immer mit Angst davor, "Straff" zahlen zu müssen). Vielleicht hätte man ein paar hundert Springbrunnen in der Hauptstadt einsparen sollen und dafür in Teer investieren?! Wir haben auch noch nirgendwo so viele kaputte Reifen oder gar ganze Räder mit gebrochenen Felgen am Straßenrand liegen sehen, wie auf dieser Strecke. Eigentlich nie weiter als Sichtweite von einander entfernt.

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Im Endeffekt ist die Durchfahrt für uns problemlos. Wir werden von keinem der vielen Polizeikontrollen angehalten. Wir übernachten dreimal ohne Probleme. Trotzdem ist man gedanklich nie frei, immer irgendwie besorgt. Auch die Menschen wirken alle muffig, kein Wunder in so einem Staat. Und welch Unterschied zu den freundlichen und immer lächelnden Menschen im Iran. Bei der Ausreise stossen wir dann zum ersten Mal auf dieser Reise auf einen korrupten Grenzbeamten, der sich ein Zusatzgeld verdienen will. Hierher werden wir sicher nicht mehr kommen. Aber das war eigentlich vorher schon klar...


Nachtrag: In Usbekistan treffen wir ein deutsches Pärchen, welches mit Motorrädern unterwegs ist. Die Frau hatte in Turkmenistan einen schweren Unfall: Ein Auto ist mir hoher Geschwindigkeit auf dieser furchtbaren Strecke, die wir auch gefahren sind, frontal in sie reingerast. Sie war schwer verletzt, das Motorrad fast Totalschaden (Vorderrad gebrochen, Gabel gebrochen, ...). Am nächsten Tag lief das Visum aus. Aussage der Behörden: Fahrzeug und Gepäck zurücklassen und ausreisen, sonst Gefängnis wegen Visumsverletzung. Toller Staat.

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