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Von Samen, Kupfer und Wasser

Die interessanten Dinge findet man oft durch Zufall, z. B. beim Suchen eines ruhigen Übernachtungsplatzes...

Überreste einer Kupferaufbereitungsanlage im Norden Norwegens

Im Norden Norwegens ist man unweigerlich auf der Europastraße 6 unterwegs, es gibt schlichtweg keine andere. Diese Straße ist zwar sehr viel schöner, als die meisten anderen Straßen dieses Planeten, aber zum Übernachten muss man doch etwas davon weg. Das ist jedoch häufig nicht so einfach. Die Fjordlandschaft hier ist schroff und steil. An den meisten Stellen bleibt nur ein schmaler Streifen am Wasser, bevor es hunderte von Metern steil nach oben geht. Die Küste hier ist so anders, als man sich gemeinhin eine Meeresküste vorstellt. Von dem schmalen Küstenstreifen weg kommt man manchmal in Flußtälern, dort in der Regel aber auch nur für wenige Kilometer.

So folgten wir sehr bereitwillig dem Flüsschen Raisa, das in Jahrmillionen stetiger mühevoller Arbeit ein etwa 500m breites Flußtal in die schroffen, rund 1300m hohen Berge, gefräst hat. Eigentlich unvorstellbar, wenn man das bißchen Wasser anschaut, das sich in dem schmalen Bachbett gemütlich dem kilometerlangen Fjord entgegenschlängelt, der dem Tal vorgelagert ist. Das Tal selbst zieht sich auf diesem Niveau etwa 15km in die Berge, bevor es dann auch an seinem Ende steil in die Höhe und in diesem Fall unmittelbar Richtung Finnland geht, das sich hier in einem schmalen Streifen noch oberhalb Schwedens bis fast an die Küste des Nordpolarmeeres zieht. Durch dieses Tal zogen dereinst auch Samenfamilien hierher zur Küste.

Einige Häuser der Samen wurden restauriert.

Die Weiten Nordschwedens und Nordfinnlands - der Landstrich Lappland, der sich sogar bis nach Russland ans Weiße Meer hineinzieht - ist die Heimat der Samen, dem einzigen indogenen Volk Europas. Die Selbstbezeichnung der Samen ist Sámi, was soviel wie "Sumpfleute" bedeutet, was die Landschaft abseits der felsigen Küste sehr gut beschreibt. Diese "Ureinwohner", die seit mindestens der Jungsteinzeit in dieser Region leben, hatten es im Laufe der Geschichte nicht einfach. Zunächst machte "nur" die harte Natur das Leben schwer, in einer Region, die in der Regel zwischen 6 und 8 Monate im Jahr von Schnee und Eis bedeckt ist. Später taten sich die Wikinger an den kargen Erträgen der Samen gütlich, danach die Norweger, Schweden und Finnen, wobei teilweise von allen gleichzeitig Steuern (in Form von Naturalien) erhoben wurden, da die nomadischen Samen ihre Rentierherden oft über Landesgrenzen hinweg trieben. Ursprünglich lebten die Samen als Jäger und Sammler, doch vor mehr als 3000 Jahren haben sie Rentiere (eine Hirschart) "halb" domestiziert. Dabei ziehen die Rentierherden frei durchs Land und die Tiere werden nur ein- oder zweimal im Jahr eingefangen, um die Schlachttiere herauszusuchen und die neu geborenen Kälber zu markieren.

Auch eine typische "Bauform" der Samen: Gegen den strengen Winter schütze eine bewachsene Erdschicht über dem Haus.

Einige der Samen wurden schon vor mehreren Jahrhunderten an der Küste sesshaft ("See-Samen") und lebten dort von der Fischerei und Jagd. Zur Rentierhaltung kam es hier aus Platzgründen eher selten.

Auch in dem von uns zufällig befahrenen Tal, wurden Samen sesshaft. Einige erhaltene (und wieder restaurierte) Häuser zeugen davon. Doch auch hier, in diesem romantischen Flusstal, erging es ihnen nicht immer gut - grundsätzlich hatten die Samen in allen vier Staaten, in denen sie lebten, weniger Rechte, als die "echten" Einwohner. Im Tal der Raisa begannen die Probleme Ende des 19. Jahrhunderts aus gleich zwei Gründen: Kupfer und Wasser(-kraft).

Auch eine Form der Befestigung: Holzverbinder

Ende des 19. Jahrhunderts wurden im Tal der Raisa Kupferadern entdeckt. Und so wurde in kurzer Zeit Abbau- und Aufbereitungsanlagen für das wertvolle Metall gebaut. Für den Betrieb dieser Anlagen wurde Elektrizität benötigt - die damals neue Hilfskraft für Arbeiten aller Art. In Norwegen wurde aufgrund der besonderen geologischen Situation von Anfang an auf Wasserkraft gesetzt und so begann Ende des 19. Jahrhunderts - mit der Industriealisierung - überall der Bau von Wasserkraftwerken. (Norwegen bezieht heute seine elektrische Energie zu 99% aus Wasserkraft.). Auch oberhalb des Tales der Raisa wurde ein Stausee angelegt, um die Kupfermine mit Strom zu versorgen. Die Dammbaufähigkeiten waren jedoch noch nicht so ausgeprägt - "learning by doing" würde man heute sagen. Gleich dreimal in den ersten Jahren (1907, 1910 und 1911) brach der einfache Schüttdamm und die Wassermassen des Stausees ergossen sich aus einigen hundert Metern Höhe durch das Tal und walzten auf ihrem Weg zum Fjord alles platt, was ihnen in den Weg kam. Wie durch ein Wunder kamen keine Menschen zu Schaden, jedoch Nutztiere und Häuser der hier siedelnden Samen. Eine Entschädigung wurde übrigens nie gezahlt, weder vom Minenbetreiber, noch vom Staat.

Soviel Geschichte in beeindruckender Natur hatte uns natürlich neugierig gemacht. So sollten doch einige Ruinen der Kupferaufbereitung und auch manche der Minen noch zu finden sein. In der Tat ist ein Teil davon auf Wanderwegen zu erreichen, wenn man auch wissen sollte, dass die Minen selbst etliche hundert Höhenmeter über dem Bereich der Aufbereitung lagen. Was uns Flachlandtirolern jedoch unbekannt war und wir schmerzhaft erfahren mussten, da die ausgeschilderten 750m zu einem der Mineneingänge bei rund 450m Höhenunterschied doch recht heavy waren...

Der Bereich der Aufbereitung - der nach und nach zu einem halben Dorf mit Büro, Schule und Lebensmittelgeschäft wuchs - war schnell erreicht. Hier steht und liegt noch einiges und man bekommt eine Vorstellung davon, wie lange sich Änderungen, die der Mensch an der Natur vornimmt, auf eben diese auswirken. Der Betrieb der Grube wurde bereits 1919 wieder eingestellt, also vor ziemlich genau 100 Jahren.

Erstaunlich lange hält sich bereits das Mauerwerk. Hier der Bereich, in den der Abraum aus den Schmelztiegeln gekippt wurde.
Eisen rostet zwar - aber so schnell rostet es nicht durch...
In diesen Trögen wurde das Erz erhitzt, das Kupfer lief unten durch ein Rohr heraus und der übrig gebliebene Abraum wurde ausgeleert.
Und da mache ich mir Gedanken, dass die Schrauben an unserem Auto durchrosten. Die hier stehen schon über 100 Jahre in Regen, Schnee und Eis.
Auch das Stahlseil ist noch erstaunlich gut erhalten.
Blick in die Schmelze

Nachdem wir uns die Überreste der Aufbereitung angeschaut hatten, wollten wir natürlich auch noch in eine Mine hineinschauen. Insgesamt gab es 4 Minen um die Aufbereitung herum. Am nächsten gelegen war die Mine "Monte Carlo", lag diese doch "nur" 750m entfernt (zu den anderen wären es etwa 2, 4 oder 6km gewesen). 

Da waren wir noch frohen Mutes: 750m. Pah, locker. Das auf dieser Strecke aber mehr als 450 Höhenmeter zu überwinden waren, hat uns vorher keiner gesagt...
Hoch oben am Berg erreichten wir - fast am Ende unserer Kräfte nach einem steilen Aufstieg - das Mundloch des Stollens. Die tägliche Leistung der Bergleute, die nach diesem Aufstieg auch noch eine lange Schicht zu Arbeiten hatten, nötigte uns Respekt ab.
Jedesmal bei Schichtbeginn ging es in den dunkelen Berg. Sicherlich kein motivierender Anblick.
Die Mine "Monte Carlo" konnten wir ein paar Meter erkunden, dann wären Gummistiefel und besseres Licht erforderlich gewesen.
Nach der Schicht, mit Blick auf den hellen Ausgang, hat sich die Laune der Arbeiter sicher gebessert, wenn auch nun noch ein steiler Abstieg über 450 Höhenmeter zu bewältigen war.

Eine interessante Gegend, die wir durch Zufall gefunden haben. Die interessante Geschichte, aber auch die wunderschöne Natur ließen aus einer Übernachtung dort gleich drei werden, damit wir uns in Ruhe umschauen konnten. Das ist für uns das Schöne an dieser Art zu Reisen...

4 Gedanken zu „Von Samen, Kupfer und Wasser

  1. Silvia

    Salut in den hohen Norden

    und danke für den tollen Bericht! Das macht richtig Lust auf eine Reise, würdet ihr nur nicht so oft die Kälte erwähnen.
    Tsetse, wie soll ich den Gatten dahin bewegen, da er doch Sonne und Wärme liebt?

    Ich wünsche euch von Herzen noch eine schöne Tour mit tollen Orten / Erlebnissen und freue mich nicht nur auf neue Berichte und Bilder, sondern noch mehr auf euch beide 😉

    Herzliche Grüße

    Silvia

  2. Werner Kh.

    Tolle Fotos, schöner Bericht. Kann das alles z.T. nachvollziehen, da selbst erlebt. Inzwischen mit "Weißware" immer im Süden unterwegs. Aber ufftour ist das Motto.
    Gruß aus Dudweiler
    KHW

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